Circa 40 Minuten vor Prozessbeginn um 13 Uhr warte ich eine überschaubare Dauer von ca.20 Minuten in der Schlange zu den Sicherheitskontrollen beim Einlass am Seiteneingang. Das Übliche: einzeln in die Eingangsschleuse quetschen, die automatisch schließt und immer wieder blockiert – wieder raus, wieder rein. Drinnen die Schuhe aus, die Jacke aus, alles durch das Durchleuchtungsgerät fahren, wie am Flughafen. Heute fühlt sich der Bulle dazu motiviert, Anweisungen zu geben, als gäbe er Hilfestellungen. Bei einer Kontrolle, die alles andere als freiwillig ist. Dann durch die Schranke gehen, in den Raum mit den Schließfächern. Auch hier kann sich die diensthabende Bullin nicht verkneifen, die Mitnahme einer Mütze mit den Worten „Die Mütze bleibt da. Vor Gericht sind keine Kopfbedeckungen erlaubt!“ zu untersagen. Drei Treppenabsätze durchs Bullenspalier nach oben. Heute stehen sie in kleinen Gruppen zusammen, besonders die Stelle, an der man vom Treppenhaus in den Gang zum Sicherheitssaal einbiegt, ist unangenehm. Verwinkelt, eng, vollgestopft mit Bullen, die – wie um ihr Volumen zusätzlich zu vergrößern – ihre Helme vor ihrem Bauch schaukeln und die Vorbeigehenden im Chor mit „Moin!“ belästigen. Als ob jemand mit denen reden würde.
Heute sind wir im Saal erst weniger Leute, ca. 30, kurz vor 13 Uhr. Aber während die Verhandlung langsam beginnt, füllen sich die Reihen sicher nochmal um rund 20 Zuschauer*innen.
Die Beschuldigten werden beim Eintreten wie immer mit Applaus und Rufen begrüßt, allerdings etwas verhaltener als an den Vortagen. Vielleicht, da zunächst weniger Leute im Saal sind, vielleicht auch, weil sich schon das Gefühl von Routine einstellt.
Die Richterin steigt gleich ein mit der Frage danach, ob der Zeuge vor der Türe warte, was bestätigt wird, um dann damit anzuschließen, dass der Antrag der Verteidigung vom vergangenen Freitag auf Einstellung des Verfahrens abgelehnt wird. Der Antrag war mit massiver Einwirkung auf die Öffentlichkeit und einer Vorverurteilung der Beschuldigten durch die Medien begründet, wodurch ein faires Verfahren nicht gewährleistet sei. Aber laut der Richterin sei eine „öffentliche Vorverurteilung“ nicht begründet und ein Prozesshindernis liege somit nicht vor. Die Richterin liest ihre Begründung schnell und recht monoton vor, darin sind Verweise auf Rechtslagen, andere Urteile sowie Fachliteratur, enthalten- für eine Person, die nicht im Paragrafensalat steckt, ist es gar nicht so leicht zu folgen.
Direkt nach diesem trockenen Vortrag folgt eine Ablehnungsbegründung auf den am vergangenen Freitag erfolgten Antrag darauf, sich eventuell im Zuschauerraum befindliche Bullen, Staats- und Verfassungsschützer dazu aufzufordern, den Saal zu verlassen. Der Antrag der Verteidigung war damit begründet worden, dass diese eventuell Zeugen sein könnten. Die Richterin weist den Antrag salopp damit zurück, dass es für diese Vermutung keine Anhaltspunkte gäbe und geht damit dem Argument der Staatsanwaltschaft nach. Manche mögen sich noch an ihre schon am Freitag vorgebrachte Begründung erinnern, dass nicht damit zu rechnen sei, dass sich Bullen und Staatsschützer*innen überhaupt zu erkennen gäben. Auch der Antrag auf die namentliche Nennung anwesender Journalist*innen wird abgelehnt.
Die Journalist*innenrige wird am heutigen Tage zunächst von zwei-, dann von drei besetzt; eine davon gehört zur Taz, die anderen beiden: unklar.
Die Stimmung im Saal ist solidarisch-gespannt, ernsthaft hat wohl niemand mit einer Einstellung gerechnet, aber die Hoffnung, die Lieben einfach an diesem Tage wieder in die Arme schließen zu können, mag doch in der einen oder dem anderen gekeimt haben. Die Ablehnungen durch die Richterin müssen erst mal verdaut werden.
Die Richterin möchte schon zur Tagesordnung übergehen, aber zwei Verteidigerinnen melden sich mit einer Antragsstellung zu Wort: Sie stellen einen Antrag auf „Verwertungswiderspruch“, dem sich alle anderen vier Verteidiger*innen anschließen. Dieser Verwertungswiderspruch richtet sich dagegen, die gegen einen der Beschuldigten erfolgten Observationen in dem Verfahren verwenden zu dürfen. Es folgt die ausführliche Begründung. Die heimlichen Observationen an der Hausanschrift, LIZ, Schwarzmarkt und GPS Überwachung seien 2018 durch den Bullenpräsidenten angeordnet und in 2019 verlängert worden als Maßnahmen der sogenannten „Gefahrenabwehr“. Ihre Verwendung im laufenden Verfahren sei rechtswidrig, da sie aufgrund des gravierenden Eingriffs in die Privatsphäre des Angeklagten Gefährten von einem Gericht und nicht nur polizeilich anzuordnen seien. Die richterliche Bestätigung der polizeilichen Anordnung, die drei Tage später zu erfolgen habe, fehle jedoch in der Akte. Die Verfassungswidrigkeit der erfolgten Observationen sei verfahrensrelevant, da sie die Grundlage des Verfahrens bildeten. Auch in der juristischen Fachöffentlichkeit seien Diskussionen anhand des Prozesses entstanden, ob hier eine „willkürliche Umgehung des Richtervorbehalts“ vorliege. Außerdem hätte die erste Anordnung der Observationen auf 3 Monate beschränkt sein müssen, in der Akte fehlen die Gründe für die erfolgte Verlängerung. Es handle sich hier um eine „repressive Maßnahme im Gewand der Gefahrenabwehr“. Außerdem sei zu prüfen, ob die Eingriffe ins Leben des Betroffenen nicht schwerer wiegen, als das Ermittlungsinteresse, insbesondere in Hinblick auf Dauer und Umfang der Maßnahme.
Im Erstantrag vom 6.11.2018 wurde die Anordnung der Observation zudem nur mit fadenscheinigen Gründen erteilt, die von den Anwält*innen nochmals durch Zitieren hervorgestellt wurden. Allgemeine Ergüsse aus dem Verfassungsschutzbericht von 2017 über „Linksradikale“ würden in der Anordnung durch „Erkenntnisse“ über den Betroffenen ergänzt. Dieser Vorstand eines eingetragenen Vereins des LIZ sei, einen Schlüssel zum Schwarzmarkt habe und „international bestens vernetzt“ sei, was angeblich die Grundlage für Militanz bieten würde bleiben ohne Quellen. Es bleibt unklar, woher diese Informationen kommen sollen. Das LIZ wird in Zusammenhang mit der Organisierung für eine militante Aktion gebracht, wobei in den Unterlagen sogar wörtlich steht, dass gegen den Observierten „kein konkreter Tatverdacht“ bestehe. Über allerlei Mutmaßungen über „vertraute feste internationale anarchistische Kontakte“ wird dem Observierten eine „Schlüsselrolle“ zugeschrieben. Wie fadenscheinig diese ganze Begründung ist, zeige sich hier nur allzu deutlich, so die Anwält*innen. Zudem fehlten die Protokolle über Observationen, die kurzfristig erfolgt sein müssen und auf die Stellen in der Akte verweisen wie „betritt die Rote Flora“ oder „benutzte eine unklare Anzahl an Rädern“. Die Anwält*innen fordern auf dieser Grundlage ein umfassendes Beweis- und Erhebungsverbot. Sie verweisen darauf, dass offensichtlich Observationsergebnisse in der Akte fehlen wie bspw. Fotos etc. und Observationsberichte. Diese seien der Verteidigung zuzustellen. Aus diesem Grund beantragen die Anwält*innen die Aussetzung des Verfahrens. Um zum einen die fehlenden Protokolle zu erhalten, und zum anderen diese auch durcharbeiten zu können.
Staatsanwalt Schakau reagiert – wie bereits durch die vergangenen Prozesstage gewohnt – prompt, aufbrausend und patzig. Ohne den ausführlich begründeten Antrag der Anwält*innen noch einmal lesen zu wollen, ist er sich ganz sicher, dass die Verwertbarkeit der erfolgten Observationen von der Kammer anzuerkennen sei. Die Rechtsmäßigkeit der Observationen spiele „hier im Ergebnis keine Rolle“. Die Absurdität dieser Aussage wird mit Lachen aus dem Publikum kommentiert. Wie immer fühlt sich Schakau angegriffen, bedroht und glaubt durch autoritäres Gebaren als Giftzwerg hart durchgreifen zu können: „Jetzt ist aber Schluß!“ um dann fortzufahren. Die „Anordnungen entsprechen materiell geltendem Recht“ – was meint er wohl damit? Was ist denn immaterielles Recht? Gleichzeitig gesteht Schakau, „kein Experte“ zu sein, findet das aber auch egal. Außerdem „selbst wenn die Observationen rechtswidrig wären, gilt es mit dem Verfolgungsinteresse abzuwägen“. Schakau versucht noch eins draufzusetzen, indem er jetzt das große Staatsverfolgungsinteresse, das seiner Meinung nach die Frage nach Rechtswidrigkeit ausheble, mit der angeblichen Planung mit Anschlägen unter anderem auf ein Wohnhaus, was angeblich Gefährdung von Leib und Leben beinhalte, begründet. Jetzt hakt auch Generalstaatsanwalt Bornemann ein, um seinem Kollegen zur Seite zu springen. Die beiden Herren fühlen sich offensichtlich durch das solidarisch kommentierende Publikum auf ihre weißen Schlipse getreten und Bornemann ermahnt die Richterin, dass sie den Saal ermahnen solle, um gegen Zwischenrufe u.a. vorzugehen. Die Richterin reagiert nicht unmittelbar auf diese Aufforderung, zunächst kommt eine der Anwält*innen zu Wort, die Schakau auf seine mangelnde Professionalität aufmerksam macht: „Herr Schakau, Sie machen es sich zu einfach“ und bittet ihn um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Antrag. Ein weiterer Verteidiger ergänzt, dass die Aussage Schakaus „Ich habe es nicht geprüft, darauf kommt es auch nicht an“, „Bände spreche“. Durchaus seien Überwachungen ohne Richtervorbehalt verfassungswidrig. Bezüglich des der Verteidigung vorliegenden Standes der Akte liege „objektive Willkür“ vor. Jetzt stützt die Richterin die Aussage des Generalstaatsanwälte, dass es ihm ja auf die Frage der jetzigen Verwertbarkeit ankäme.
Und dann steigt die Richterin auf den Antrag der GstA ein, für Ruhe im Saal zu sorgen. Das ist das erste Mal, das die Richterin der Aufforderung der GStA nachkommt. Dabei führt sie das ganze Arsenal an möglichen repressiven Maßnahmen auf: Saal räumen, Personalienfeststellung, Ordnungsgelder, Ordnungshaft. Allerdings ergänzt sie, dass sie auch dem Antrag der Verteidigung nachkommen wolle, für Ruhe zu sorgen, egal ob es sich um Zuschauende oder Beamt*innen handle. Und – eine Absicherung gegenüber der Staatsanwaltschaft? – sie ergänzt, dass sie mit Mahnungen und Sanktionen reagieren würde, wenn sie „Zeit habe“.
Anschließend kündigt die Richterin 15 Minuten Pause an, um den eben erfolgten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zu prüfen. Die beiden in Haft befindlichen Gefährten werden auch für diese kurze Zeit wieder in Zellen verbracht und weggesperrt, ein kleiner Abschied, dann, nach der Pause, ein kleines Wiedersehen. Als erstes nach der Pause entlässt die Richterin den Zeugen, da die Zeit nicht gereicht habe diesen zu Verhören. Um den Antrag zu prüfen, werde die Verhandlung erst in der kommenden Woche fortgesetzt. Es werden „organisatorische“ Dinge geklärt, Termine: Der Termin am 27.1. entfällt. Stattdessen wird es einen sogenannten „Kurztermin“ am 25.3. um 8.15 Uhr geben, allerdings ohne die Verteidigung eines der Angeklagten, die Terminlich verhindert ist, es sollen dann laut Richterin irgendwelche Gutachten, die nicht diesen Angeklagten betreffen, durchgegangen werden. Es kommen noch weitere nicht funktionierende Dinge zur Sprache wie, dass die Ladungsverfügungen für die Zeug*innen noch immer nicht bei der Verteidigung vorliegen. Einer der Anwälte bringt nochmal zur Sprache, dass laut Schakau „Die Beschuldigte [die sich draußen befindet] die ganze Zeit beobachtet worden“ sei – der Anwalt macht deutlich, dass also klar ist, dass Aktenteile fehlen. Seine Ausführungen mit Bezugnahme auf den Duden („ganz bedeutet ‚gesamt, vollständig‘“) sorgen im Publikum für Belustigung, da sie Schakau auf erbauliche Art vorführen. Zudem, so der Anwalt, zeige diese Aussage, dass es auf den genauen Wortlaut des Generalstaatsanwaltes ankomme und nimmt damit Bezug auf den bereits abgelehnten Antrag der Verteidigung, die Worte des Generalstaatsanwaltes seien wortwörtlich zu protokollieren. Der Anwalt hebt nochmals hervor, dass zu prüfen sei, welche Aktenteile fehlen.
Die Verhandlung wird am Montag, 20.01.2020 um ca. 15 Uhr beendet. Wie immer ein trauriger Moment, den Gefangenen zu zuwinken, während sie unter Aufsicht der Schließer wieder in den Knast abgeführt werden, aber auch ein Abschied in Solidarität und gemeinsamer Stärke gegen die Repression: „Bis bald!“
weitere Termine: 27.1. entfällt, 28./29.1 sind von 10 bis 15 Uhr angesetzt.
Nächster Prozesstag am 22.1.2020.