28.02.2020 – 16. Prozesstag – Resonanz-Erinnerungslücke

Heute findet die Verhandlung wieder im kleinen Saal, sehr gequetscht im Publikum, statt. Manche können erst nach Verlassen anderer das Gebäude betreten, da alle Sitze belegt sind.

Am heutigen Tag bringen die Anwält_innen fortlaufend Widersprüche gegen das von der Staatsanwaltschaft beantragte Selbstleseverfahren ein. Auch der Zweck der Observation einer der angeklagten Freund_innen – vermeintliche Gefahrenabwehr – wird angezweifelt.

Es geht darum, zu klären, an welchen Stellen „vernehmungsersetzende“ und an welchen Stellen „vernehmungsergänzende“ Selbstlesung erfolgen soll.

Die Verteidigung hält ein Selbstleseverfahren – das heißt, die öffentliche Befragung der Zeug_innen würde entfallen – für nicht praktikabel bei all den bestehenden Widersprüchen.

Außerdem legt die Verteidigung einen Verwertungswiderspruch gegen die angeblich bei der Durchsuchung der Freund_innen gefundenen Gegenstände ein. Die Durchsuchung ansich sei rechtswidrig gewesen, da eine Gefahrenabwehr nur stattfinden würde, wenn „Tatsachen darauf hinweisen, dass eine unmittelbare Gefahr besteht“. Zudem habe die richterliche Anordnung für die Durchsuchung gefehlt. Ebenso seien die nach Festnahme der Gefährt_innen erfolgten Wohnungsdurchsuchungen rechtswidrig gewesen, da ebenso der richterliche Durchsuchungsbefehl gefehlt habe. Schakau erwidert diese Einwände mit einigen Mutmaßungen; es sei „sofortiges Handeln vonnöten“ gewesen, damit die Mitbewohner_innen nicht „vorzeitig von der Festnahme erfahren und Beweismittel vernichten“ konnten. Die Verteidigung betrachtet dies als Vorabannahme und somit „rechtswidrige Eilkompetenz“. Staatsanwaltschaft und Verteidigung streiten nun eine Weile darüber, ob Zeit gewesen sei oder nicht, den richterlichen Bereitschaftsdienst zu kontaktieren, um die Durchsuchung ggf. richterlich anzuordnen.

Dann legt die Verteidigung mit einem Antrag auf „Beifügung sämtlicher Verfahrensakten, die erwähnt werden“ zur Akte nach. Es geht hierbei um so genannte „Resonanzverfahren“, die in der Akte der Hauptverhandlung immer wieder nebenbei Erwähnung finden. Diese würden sich aus Wertung und Annahmen des Verfassers speisen, ebenso, was angebliche Anschlagsziele betreffe. Es sei fragwürdig, warum auf irgendwelche im Internet zu findenden Bekenner_innenschreiben Bezug genommen werde.

Schakau findet – no surprise! – das Selbstleseverfahren nicht unzulässig und auch den Verwertungswiderspruch weist er zurück. Die Kammer habe schon einen Beschluss bezüglich der (Schakaus Meinung nach nur vermeintlichen) Unzulässigkeit der Observation gefasst und die Rechtmäßigkeit der Verwertung bestätigt.

Die Verteidigung zweifelt diese Rechtmäßigkeit jedoch an und fragt Schakau einfach direkt, welche Anordnung des OLGs ihm eigentlich bekannt sei und worauf Schakau es eigentlich begründe, zu sagen, dass alles verfassungsmäßig gelaufen sei?

Nach einer Weile schaltet sich die Richterin schließlich in ihrer Rolle der „schlichtenden Macht“ respektive der patriarchalen Oberinstanz in Form eines Barbara Salesch-Verschnitts ein. Sie – die Richterin – werde am Montag über die vorgebrachten Widersprüche und Anträge entscheiden, nun werde erst einmal Zeuge Pahl gehört. Again.

Pahl kann uns auch heute mit seinen Erinnerungslücken und widersprüchlichen Aussagen weder erfreuen noch überraschen; vielleicht manchmal belustigen. Etwa wenn er – wegen Uneinigkeiten der verschiedenen Instanzen – wiederholt rein- und rausgehen muss und dabei versucht, die Brust stolz geschwellt zu halten. Ein Highlight der Erinnerungslücken: „Ich erinnere mich nicht, darum kann ich es ausschließen.“ Aha, bestechende Logik.

Pahl wird eine Weile durch die Verteidigung befragt bezüglich der Rolle des LKA7 in diesem „Schwerpunkteinsatz“ (der zur Festnahme unserer Freund_innen führte). Aber was es mit diesem Schwerpunkteinsatz eigentlich genauer auf sich hatte, wer wie involviert und leitend tätig war, lässt sich aus den verschwurbelten Aussagen Pahls nicht gut extrahieren. Die Angaben, wer den Einsatz geleitet habe, ergeben nur, es sei eine „weibliche Person“ gewesen, obwohl sich Pahl andererseits nicht an Personenanzahl vor Ort oder Hierarchien oder irgendwas erinnern kann. Schon komisch, wenn man einem so hierarchiebegeisterten Job nachgeht…

Nach diesen zähen Stunden mit Pahl will die Richterin diesen als Zeuge entlassen, wogegen die Verteidigung widerspricht, da diese davon ausgeht, dass Pahl nochmal wiederkommen werden muss. Die Angaben zu der angeblichen „Lichtbildmappe“ usw. seien weiterhin völlig unklar.

Die Verteidigung nimmt nun auch nochmal Bezug auf die sogenannten „Resonanzstraftaten“, die in der Akte Erwähnung finden. Aus polizeilicher Sicht seien hier ganz unterschiedliche Dinge unter verschiedenen Aktenzeichen erwähnt – „davon hat aber niemand im Saal hier Kenntnis“, so die Verteidigung. Wobei ein – laut ausgesprochenes – Fragezeichen in Richtung Schakau besteht: „Herr Schakau, Sie korrigieren mich, wenn Sie da aus anderen Arbeitsbereichen anderes zu sagen haben“.

Der Verhandlungstag endet damit, dass die Richterin den Zeugen Pahl entlässt und die Verteidigung dies beanstandet.

Nächster Prozesstag: Montag, 2.3., 10 Uhr, Saal 237.