18.02.2020-13. Prozesstag -Polizeitaktik Erinnerungslücke

Heute findet die Verhandlung wieder im großen Sicherheitssaal statt, diesmal mit hinter der Richterin aufgebauten Aktenordnern, die vielleicht eindrücklich das Bild vermeintlicher Aktenvollständigkeit suggerieren sollen.

Es ist schön, diesmal wieder nicht nur die Rückenansicht der Freund*innen zu haben, sondern solidarische Blicke rüberschicken zu können.

Gleich zu Beginn hakt die Verteidigung bei der Richterin nach, ob die Vorführung des Bullen Zeugens Pahl beantragt worden sei. Grund für diese Nachfrage ist, dass Anwält*innen gesehen haben, wie Bulle Pahl in Begleitung zweier anderer Bullen inklusive voller Bewaffnung bis vor den Gerichtssaal begleitet worden sei. Parallel dazu kommt im Zuschauer*innenraum Unruhe auf, weil das Schließen der Tür des Gerichtssaals von den anwesenden Justizbeamt*innen vehement verhindert wird. Vor der Tür im Flur stehen Bullen.

Eine Diskussion darüber beginnt, ob es sich dabei um die Bullen handeln könne, die Pahl in den Gerichtssaal eskortiert haben. Nach einigem Hin und Her begibt sich schließlich die Kammer und Verteidigung, die Entourage in schwarzen Roben, in den Flur. Es wird eine Art Soundcheck durchgeführt, um festzustellen, ob vom Flur aus zu verstehen sei, was im Saal geredet werde. Nicht nur die Tür, sondern auch die Frage, warum diese nicht einfach geschlossen wird, bleibt offen.

Bullenzeuge Pahl wird also als erstes zu seinem Geleitschutz befragt. Es sei zu einem „Vorfall“ an seinem Auto gekommen. Bulle Pahl gibt wieder, er sei mit den Worten „Scheiß Bulle, wir kriegen dich noch“ vor dem Gebäude verabschiedet worden. Dies habe er seinem vorsitzenden Stab berichtet, namentlich Belyeli, der daraufhin zwei Bereitschaftsbullen für Pahl ans Gericht bestellt hätte, zu dessen „Schutz“.

In der folgenden Befragung des Bullen Pahls geht es darum, herauszufinden, ob dieser vor seiner Befragung mit anderen Bullen geredet habe über das Verfahren oder seine Aussage. Wie meistens kann sich Pahl an das meiste nicht mehr erinnern. Es tritt zutage, dass die Bullen Unterlagen verschiedenster Verfahren gemeinsam in Aktenordnern sammeln, die den einzelnen Bullen frei zugänglich sind. So hat sich auch Bulle Pahl durch solche Ordner „durchgeblättert“, um schließlich eigenhändig eine Kopie seines Berichts zu fertigen. Es geht nochmal darum, wie der Bericht entstanden sei. Pahl habe ihn gefertigt, dann zur Korrektur an den „diensthabenden Wachhabenden“ gegeben, Korrekturen zurückbekommen, die eingefügt, den Bericht der „Staffette“ (=Box zur Auslieferung an verschiedene Dienststellen) zugeführt mit einem angehefteten Zettel, dass der Bericht im Original ans LKA7 solle. Eine Kopie verbleibe beim PK23.

Dann geht es um den Abend der Festnahme unserer Gefährt*innen und wie denn Bulle Pahl da nun dazu gekommen sei. Es stellt sich raus, dass Pahl und Saleti noch eben mal Mountainbikes in den Kofferraum geladen hätten. Diese befinden sich laut Pahl frei zugänglich in der Tiefgarage des Bullenreviers. Dann seien Pahl und Saleti zum Altonaer Balkon gefahren.

Die Verteidigung adressiert nochmals das Gericht, die Kammer solle den Zeugen nochmals auf Wahrheitspflicht und die Pflicht, sich um Erinnerung zu bemühen, belehren. Auf die Frage von Seiten der Verteidigung danach, ob Pahl wisse, was hier angeklagt sei, verneint Pahl. Hier wird die Absurdität der Aussagen Pahls nochmals sehr deutlich. Im weiteren muss er dann auch zugeben, dass er Schlagzeilen aus der Zeitung gelesen habe, aber er behauptet, sich „bewusst nicht damit auseinandergesetzt“ zu haben. Auf die Frage, warum Bulle Pahl zum Altonaer Balkon gefahren sei in der Nacht der Festnahme, gibt dieser an, er wisse nicht, ob er das beantworten könne, da es sich um „Polizeitaktik“ handle.

Die Verteidigung hakt ein und stellt fest, dass Pahl diese Frage an anderer Stelle mit angeblicher Erinnerungslücke beantwortet habe. Hier läge ja wohl ein deutlicher Unterschied: nicht wissen ob die Aussage gemacht werden dürfe vs. Sich nicht erinnern können. It‘s not the same, Pahl.

Es wird für einen Anruf des Bullen Pahls bei seinem Vorgesetzten unterbrochen, um zu klären, ob die Frage zu beantworten sei oder nicht. Wie erwartet sagt Pahl dazu nach der Unterbrechung: „Nein, ich darf aus polizeitaktischen Gründen keine weiteren Angaben machen.“

Die Verteidigung arbeitet durch weitere Befragung Pahls heraus, dass unklar ist, ob Bulle Nieberding, mit dem Pahl bezüglich seiner Aussage eben telefoniert hat, 1. überhaupt im Bilde ist, worum es geht und 2. überhaupt Entscheidungsberechtigt bezüglich der Frage danach, ob Pahl dazu aussagen muss oder nicht. Denn entscheiden müsse die „oberste Dienstbehörde“. Darum müsse das Gericht die Aussage erwirken. Es folgt die Mittagspause.

Schakau, der heute ohne Bornemann an seiner Seite zugegen ist, ist heute auffallend still und gibt sich in der Pause nur einem kleinen Plausch mit einem der Justizbeamten hin. Das Sitzen auf den Kirchenbank-Verschnitten erscheint heute besonders lang und hart, der unwirtliche Ort Gericht frisst sich in alle Knochen.

Die Kammer kehrt zurück und stellt fest, die Gründe für eine Nicht-Aussage seien zu prüfen, auf der Aussagegenehmigung des Zeugens sei angekreuzt „… solange keine internen polizeilichen Gründe dagegen sprechen“. Die Verteidigung greift nochmal auf, dass es unter Umständen keinen Sinn macht, sich auf diese Genehmigung zu berufen, da Nieberding, der sie ausgefüllt hat, wahrscheinlich gar nicht berechtigt dazu sei. Es stellt sich dann auch heraus, dass dieser am Telefon gar nicht gesagt hat, dass Pahl nicht darauf antworten kann, warum er zum Altonaer Balkon gefahren sei, sondern, dass diese Fragen schriftlich gestellt werden könnten. Die Verteidigung sieht dies als Hinweis darauf, dass darüber Unentschiedenheit herrsche und außerdem, dass es nicht angehe, dass die Bullen die Regeln bestimmen und den Rhythmus der Fragen des Verfahrens lenken. Auf die Frage danach, ob Pahl ein Gespräch über den Kontext des Verfahrens mit Nieberding in seinem nur zweiminütigen Telefonat geführt habe, sagt Pahl mal wieder: „Nicht, dass ich mich erinnern könnte.“ Offensichtlich ist das Erinnerungsvermögen Pahls sehr sehr schlecht und anscheinend weiß Nieberding gar nicht, worum es geht und worüber er entscheidet.

Schakau sieht sich nach langem Schweigen veranlasst, giftzwergisch einzuhaken, das bringe doch alles nichts, Pahl hätte im Verfahren ja nur einen kleinen Anteil. Die Verteidigung sieht das anders, da immerhin die Anklage unserer Gefährt*innen auf der Beweisführung Pahls fusst. Außerdem sei es auch eine Entscheidung der Kammer gewesen, erstmal Bulle Pahl zu hören, bevor überhaupt geprüft werde, was zum Einsatz führte. Es handele sich um eine Anklage, die auf Pahls Strafanzeige gründet.

Es folgt ein Wortgefecht zwischen Schakau und der Verteidigung, ob das Vorgehen letzterer sachdienlich sei. Die Verteidigung verweist an dieser Stelle auf die Samthandschuhe und Nachlässigkeit, mit denen mit Bullenzeug*innen gegenüber anderen Zeug*innen umgegangen wird. Die Verteidigung schlägt vor, dass die Kammer sich an die zuständige oberste Dienstbehörde wenden solle, um zu erfahren, ob es bezüglich Einsatzziel, Einsatzort, Einsatzzweck Einschränkungen der Aussagegenehmigung gebe. Die Verteidigung verweist auch darauf, dass es dabei nur um „polizeiinterne Belange“ gehen dürfe und nicht um „Polizeitaktik“. Es sei ohnehin völlig unklar, was damit überhaupt gemeint sei.

Die Kammer nimmt dies an, schlägt trotzdem eine Fortsetzung der Befragung vor.

Die Verteidigung stellt einige Fragen zurück (um auf die Entscheidung der obersten Dienstbehörde – Innensenator – des Bullens zu warten) und setzt mit ein paar wenigen fort. Wie immer ergibt das nicht viel, da Pahl sich weiterhin kaum erinnern kann, wenn es um wesentliche Fragen geht. So erinnert sich der Bulle auch nicht mehr, ob er selbst eine Datei mit neuer Vorgangsnummer angelegt hat, oder ob es bereits eine bestehende Vorgangsnummer und die Akte gab. Er behauptet zwar, er könne ausschließen, dass es diesen Vorgang schon gegeben habe, aber es tun sich Unstimmigkeiten bezüglich der Vorgangsnummern und Sortierung und Pahls angeblicher Orientierung auf. Es ist unklar, ob das Aktenzeichen schon vor der Festnahme angelegt wurde.

Auf die Frage, unter welchem Aktenzeichen der Sondereinsatz lief, antwortet Pahl auch völlig unklar und ausweichend.

Der Verhandlungstag wird damit geschlossen, dass die Kammer bei der obersten Dienstbehörde etwaige Einschränkungen des Aussagerechts des Bullens Pahl kläre und dessen Vernehmung dann fortgeführt werde.

Nach diesem Tag zäher Befragungen sind wir wie immer froh, diesen Ort zu verlassen und traurig, unsere eingeknasteten Gefährt*innen weiterhin in dessen Fängen zurücklassen zu müssen.

Nächster Prozesstag 20.02.2020, 9 – 12 Uhr. Wieder kleiner Sicherheitssaal (selber Eingang über Seite und Schleuse).