17.02.2020 – 12. Prozesstag – Was war nochmal die Frage?

Die Fortsetzung der Zeugenbefragung wird durch einen Antrag der Verteidigung aufgeschoben, der das Gericht dazu auffordert, Aktenvollständigkeit zu leisten. In der Begründung des Antrags wird sich vor allem auf die Fotos angeblich sichergestellter Gegenstände bezogen, auf die sich Ermittlung und Anklage wesentlich stützen. Es wird festgehalten, dass die „Lichtbildmappe“, die der Bulle P. laut seiner Zeugenaussage erstellt hat, wohl kaum mit der Sammlung loser Blätter identisch sein kann, die „der“ Akte beigefügt wurde.

In der Akte tauchen Bilder doppelt auf, teils sind sie paginiert, andernteils nicht; es fehlt jeder Hinweis auf die Originalität der Fotos; durch die Löschung der Bilder auf dem Handy (sprich: die Beweismittelvernichtung) durch P. schließlich sind die Aufnahmezeitpunkte und die tatsächliche Anzahl gemachter Fotos nicht mehr nachvollziehbar und so auch der Ermittlungsvorgang als solcher. Am Ende kann niemand sagen, wie willkürlich die Zuordnung der fotografierten Gegenstände zu bestimmten Personen ist.

Sollte vor diesem Hintergrund die Aktenvollständigkeit nicht in Zweifel gezogen und die „lose Blattsammlung“ mit der „Lichtbildmappe“ gleichgesetzt werden, dann seien die genannten Auffälligkeiten allerdings als „massiver Angriff auf die Aktenwahrheit“ zu werten, so die Verteidigung. Die Generalstaatsanwaltschaft begnügt sich mit dem Hinweis darauf, dass die Polizei in der Aktenerstellung keiner Chronologie verpflichtet sei und sich Lücken in der Akte durch die Befragung des Zeugen schließen lassen würden, der vor der Tür warte.

Der Bulle P. betritt dann auch den Gerichtssaal, nachdem die Kammer den Antrag mit der Begründung ablehnt, es gäbe keine Hinweise auf Aktenunvollständigkeit. Und muss gleich wieder vor die Tür, weil die Verteidigung der vorsitzenden Richterin die Frage stellt, ob es möglicherweise angebracht sei, den Zeugen nach Artikel 55 zu belehren (also darüber, dass er keine Aussagen machen muss, die ihn selbst belasten). In Abwesenheit von P. folgt die Kammer der Position der GenStA, die keine Hinweise darauf sehen will, dass der Zeuge sich strafbar gemacht habe – obwohl er die fraglichen Fotos gelöscht hat und dies möglicherweise nicht zufällig nachdem er als Zeuge vor Gericht geladen wurde und obwohl ungeklärt ist, wie die MOPO im November 2019 ein Foto drucken konnte, das den Aufnahmen von P. sehr ähnlich ist. Als es dann schließlich doch noch zur Zeugenbefragung kommt, bekommt die Verteidigung auf die gestellten Fragen zu den Vorgängen und Hintergründen der Personenkontrolle kaum Antworten, weil der Bulle in besorgniserregendem Maße sein Gedächtnis verloren hat. Darauf angesprochen, ob hier möglicherweise eine ihm bekannte Einschränkung vorliege, fühlt sich P. persönlich angegriffen. Und fischt sein zweites Ass aus dem Ärmel: die „Polizeitaktik“, die ein Beantworten der Fragen nicht erlaube. Nach wiederholten Zwischenberatungen ohne den Zeugen bekommt dieser am Ende des Verhandlungstages deshalb die Hausaufgabe, doch mal abzuklären, was durch seine Aussagegenehmigung gedeckt ist und was nicht.

2. Protokoll

17.02.2020 10 Uhr

Zu Beginn des heutigen Prozesstages finden sich zunächst ca. 25 Leute im Gerichtssaal ein, später sind es knapp über 30.

Heute ist das Setting verändert – der große Sicherheitssaal wird zwischenzeitlich von einem Rocker-Prozess in Beschlag genommen, weshalb der heutige Verhandlungstag erneut in den kleineren Sicherheitssaal 288 verlegt ist (trotzdem gleicher Eingang über Seite und Schleuse). Im Treppenhaus ist heute lediglich eine Hand voll Bullen verteilt, die sich Hustenbonbons teilen, für unangenehme Atmosphäre sorgen und anscheinend immer noch nicht gemerkt haben, für welch unglaublich dummen Job sie sich entschieden haben.

Die dicht gedrängten drei Stuhlreihen lassen hier nicht mehr Platz als für ca. 30 Menschen.

Zwar sind wir hier den Freund*innen räumlich näher, andererseits gibt es auch hier eine „Sicherheitsscheibe“, die uns trennt, und die Gefährt*innen müssen mit dem Rücken zu uns sitzen, was die Momente der Kommunikation und solidarischen Gesten um einiges einschränkt. Es freut uns aber, dass die beiden Eingeknasteten große Flaschen Smoothies genießen können.

Die Verhandlung beginnt, womit sich herausstellt, dass die Sprechanlage in diesem noch antiquierter als im großen Saal zu sein scheint und die Soundqualität zu wünschen übrig lässt.

Zu Beginn werden mal wieder aktualisierte E-Akten verteilt, dann soll mit der Befragung des Bullen-Zeugen Pahl fortgefahren werden. Die Verteidigung beantragt, dies zurückzustellen, es folgt sofort der hitzige Einwand Oberstaatsanwalts Schakau, den die Gründe für den Antrag mal wieder nicht interessieren. Verteidiger Kienzle begründet: Es liege ein Verstoß gegen Aktenvollständigkeit sowie Aktenwahrheit vor, außerdem beantrage er vollständige Akteneinsicht und bezieht sich auf den am 10.1.2020 eingelegten Verwendungswiderspruch.

Es geht in der Befragung um die vom Bullen Pahl gefertigten Fotos, die er in der Nacht der Festnahme unserer Freund*innen von den vermeintlich bei diesen gefundenen Gegenständen gemacht haben soll. Wie sich zuvor schon herausstellte, existieren diese Fotos im Original nicht mehr, da Bulle Pahl sie vor der Abgabe seines Diensthandys – zufälligerweise im Januar diesen Jahres – vorsorglich gelöscht hat.

Die Verteidigung nimmt Bezug auf die Widersprüche die sich hinsichtlich dieser Fotos in der Akte finden: So werden sie von Bullenzeuge Pahl als „Lichtbildmappe“ deklariert, die der Akte beiläge. In der Akte findet sich aber nur ein „Beschlagnahmungsprotokoll“; Fotos tauchen hingegen an verschiedenen Stellen der Akte auf, manche davon doppelt, ohne Zusammenhang, teils von „Saleti“ (Bullenkollege von Pahl) gezeichnet, viele ganz ohne Zeichnung, ohne Datierung und schließlich ohne Nachvollziehbarkeit ihrer Authentizität. Bulle Pahl habe bereits ausgesagt, er könne sich nicht erinnern – wieviele Fotos er gemacht habe und er könne auch nicht sagen, ob es sich bei den Fotos in der Akte um seine Aufnahmen handle.

Die Verteidigung stellt fest: „Was für das Verfahren erschaffen worden ist, darf nicht vorenthalten werden“ und nimmt damit Bezug auf die fehlende „Lichtbildmappe“ (stattdessen liegt nur eine „lose Blattsammlung“ vor) und die irreversibel gelöschten Daten der Originalfotos.

Die Akte werde so zum „Storyboard zur größtmöglichen Belastung der Angeklagten“, nur so ließe sich erklären – so die Verteidigung – „warum Material aufgeteilt und seinem Zusammenhang beraubt“ worden wäre. Es wird auch die Vermutung laut, da 3 identische Blätter der Akte sich an ganz verschiedenen Punkten dieser wieder fänden, dass es sein könnte, dass zwei verschiedene Akten unter dem gleichen Aktenzeichen bei den Bullen geführt würden.

Die Staatsanwalt beharrt weiterhin darauf, die Befragung fortzuführen und spricht absurderweise von einer „Legende einer unvollständigen Akte, die aufrecht erhalten werden solle“ und wirft der Verteidigung wieder einmal Verzögerungstaktik vor. (Was diese im Übrigen bei einem der vorherigen Termine bereits als abstrus zurückgewiesen haben, mit Hinweis darauf, dass dies in Hinblick auf die anhaltende U-Haft zweier unserer Freund*innen kein Anliegen sein könne.)

Es folgt ein Disput zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft darüber, ob die Aktenvollständigkeit durch Zeugenvernehmung oder außerhalb dieser zu erörtern sei.

Schakau haut das erste Mal seinen heutigen Lieblingssatz heraus, in dem sich seine Widerwärtigkeit offenbart: „Wenn Sie das alles ernst meinen, warum sitzen ihre Mandanten dann noch in Haft, warum stellen Sie keine Haftbeschwerde?“

Wütend und angebracht kontert die Verteidigung allerdings: „Ganz einfach – weil Sie sich mit Händen und Füßen gegen eine Enthaftung wehren!“ Als Schakau später seinen Affront wiederholt, weist die Verteidigung daraufhin, er solle es unterlassen, die Verteidigung gegenüber den angeklagten Gefährt*innen als unfähig darzustellen.

Vergangene Streitpunkt wie die Frage nach der Reihenfolge der Zeugenbefragung tauchen auf (Verteidigung: „Es würde ja Sinn machen, erst Herrn Massner zu hören“).

Die Richterin Paust-Schlote lehnt die Anträge der Verteidigung trotz alledem ab und befindet, dass Zeuge Pahl weiter vernommen werden soll. Im Laufe des Verhandlungstags zeigt sich allerdings, dass dies nicht reibungslos vonstatten gehen kann, da der Bullenzeuge immer wieder den Saal verlassen muss, damit die zahlreichen sich auftuenden Problematiken während der Befragung (wie: absolut mangelhaftes Erinnerungsvermögen des Zeugens) thematisiert werden können. Die Verteidigung beanstandet die Entscheidung der Richterin.

Bulle Pahl betritt mit stolz geschwellter Brust und in Schusssicherer Weste den Verhandlungssaal, um sich im weiteren Verlauf an allen wesentlichen Stellen vor allem eins zu tun: sich angeblich nicht zu erinnern bzw. eine angebliche „Polizeitaktik“ zu schützen.

Die Verteidigung regt die Kammer an, den Zeugen Pahl darauf hinzuweisen, dass er sich schuldig machen könne und nicht aussagen muss. Es sei nämlich stark davon auszugehen, dass Pahl die Fotos vom Diensthandy erst nach Erhalt der Zeugenladung gelöscht habe. Zudem stelle sich die Frage, wie die MoPo an das von ihr am 25.11.2019 veröffentlichte Bild gekommen sei, das sehr stark den Bildern aus der Akte gleiche, wo doch Pahl der einzige war, der zu dieser Zeit über die Fotos verfügen konnte.

Auch dies wird zurückgewiesen und zur Befragung des Zeugen übergegangen.

Die Verteidigung konzentriert sich nun darauf, etwas darüber zu erfahren, warum und wie der Bulle Pahl in der Nacht der Festnahme überhaupt an betreffenden Ort gelangt sei. Dabei tun sich immer wieder erhebliche Erinnerungslücken bei Pahl auf: So erinnert er sich angeblich nicht mehr an die am Ort anwesende Zahl der Bullen, nicht an den von ihm gefertigten Festnahmebericht. Pahl sagt, er habe nur Kontakt zu seinem Bullenkollegen Saleti und seinem Vorgesetzten Kuhn gehabt. Und mit seinem Bullen Kollegen Winkler, mit dem er die „Personenüberprüfung“ durchgeführt habe. Und dann taucht plötzlich auch noch eine Bullette, Schotte, in Pahls Erinnerung auf.

Den Auftrag zum Einsatz habe das LKA7 erteilt.

Es geht in der Befragung dann weiterhin darum, wo – in einem „Schreibraum des PK23“ – Pahl den „Bericht“ geschrieben habe und ob sich irgendwelche Gegenstände (neben Einrichtung und Computer) darin befunden hätten. Wieder erinnert sich Pahl nicht. Dafür stellt sich dann bald heraus, dass es sich bei vermeintlichem „Bericht“ tatsächlich um eine Strafanzeige handelt, die Pahl gestellt hat.

Dies stellt die wesentliche Bedeutung des BullenZeugens und dessen Umtriebe heraus, weil auf dieser Strafanzeige das Verfahren wesentlich beruht. Bulle Siebensohn habe den Auftrag zur Stellung der Strafanzeige gegeben.

Die Verteidigung ist abermals erstaunt über das siebhafte Gedächtnis des Bullens, das genau nach Fotografieren der Gegenstände aussetzt und nichts über deren weiteren Verbleib sagen kann, außer, dass er sie nicht mitgenommen habe.

Des weiteren stellt sich heraus, dass der „Bericht“ Pahls „Korrektur“ gelesen worden sei und zwar vom „wachhabenden Diensthabenden“. Welchen Wachhund genau das auch immer bezeichnen soll. Es gehe dabei um Grammatik und Rechtschreibung. Das LKA7 habe die Gegenstände dann übernommen und arserviert, wo, das wisse Pahl nicht.

Die Verteidigung beginnt nun, den Bullenzeugen nach dessen Werdegang und Ausbildung zu befragen. Immerhin ist Bulle Pahl erst zarte 24 Jahre alt. Es geht wesentlich darum, wann Pahl seine Ausbildung abgeschlossen habe und ob er in dieser eine Schulung als Zeuge erhalten habe. Es geht jetzt los damit, dass Pahl sich andauernd an die Richterin wendet, um sicherzugehen, ob er die von der Verteidigung gestellten Fragen beantworten müsse.

Die Verteidigung weist daraufhin, dass diese Frage essentiell sei, um das Beweismittel zu würdigen. Die Richterin stimmt in diesem Falle zu.

Die Verteidigung fragt den Zeugen, nach anhaltenden Gedächtnislücken, ob dieser Einschränkungen hinsichtlich seines Erinnerungsvermögens habe. Bulle Pahl empfindet das als „persönlichen Angriff auf meine Person“. Die Verteidigung sieht sich veranlasst, zu hinterfragen, inwieweit dieses Verfahren auf die Aussage eines Zeugen gestützt werden könne, der sich die ganze Zeit nicht erinnern kann. Schakau empfindet das als „einen Trick“.

Schakau spielt sich – in Anwesenheit Pahls – als dessen Schutzpatron auf. Die Frage nach Stellung und Bedeutung von Bullenzeugen und Parteinahme der Staatsanwaltschaft wird deutlich.

In der weiteren Befragung versucht die Verteidigung nähere Erkenntnisse über den verlauf der Festnahmenacht zu gewinnen. Aber sehr viel mehr, als dass das PK21 die „Heimatdienststelle“ des Bullen Pahls ist, und die Strafanzeige am PK23 geschrieben wurde, lässt sich von Pahl nicht in Erfahrung bringen. Die Frage nach dem Grund für den sogenannten „Schwerpunkteinsatz“ weist Bulle Pahl mit Verweis auf irgendeine geheim zu haltende „Polizeitaktik“ zurück, er könne diese deshalb nicht beantworten. Wieder muss der Zeuge rausgeschickt werden, damit Verteidigung und Rest der Anwesenden darüber debattieren können, ob diese Frage nun zulässig sei oder nicht. Sie wird als zulässig befunden. Es sei um einen „Schwerpunkteinsatz zum 2jährigen Jahrestag des G20s gegangen.“

Die Frage nach dem Fahrzeug, mit dem er an den betreffenden Ort gekommen sei, weist Pahl wieder zurück, da er keine „Polizeitaktik“ verraten wolle. Auffallend ist dabei, dass Erinnerungslücken und „Polizeitaktik“ für Bulle Pahl manchmal äquivalent zu sein scheinen.

Die Verhandlung schließt damit, dass Bulle Pahl in Erfahrung bringen solle, ob diese Frage (nach dem Fahrzeug) denn von seinem Aussagerecht ausgenommen sei oder nicht, um am nächsten Tag fortführen zu können.

Es geht zuletzt noch kurz um die Stellungsnahmefrist für den Widerspruch gegen das von der Kammer vorgesehene Selbstleseverfahren.

Der Prozesstermin am 5.3. fällt aus. Der für den 25.3. anberaumte „Kurztermin“ wird auf den 24.3. vorverlegt, ca. 8.30 bis 9 Uhr.

Nächster Prozesstermin 18.02.2020, wieder im großen Sicherheitssaal 235.